7. 2. 2003,  NZZ Online

Neue Züricher Zeitung

Irak-Geheimdossier abgeschrieben

Veraltete Arbeit eines Studenten als Vorlage

Das von der britischen Regierung vorgelegte geheimdienstlichen Dossier über die Massenvernichtungswaffen des Iraks stammen zum grossen Teil aus veralteten Arbeiten von Studenten. Das Dossier wurde von Grossbritannien und den USA als Beweis für die Notwendigkeit eines Eingreifens im Irak herangezogen.

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(sda/dpa) Die britische Regierung hat zugegeben, dass ein angebliches «Geheimdienst-Dossier» zum Irak zu einem grossen Teil aus der veralteten Arbeit eines Studenten abgeschrieben worden ist. Es sei ein Fehler gewesen, diese Quelle nicht anzugeben, sagte ein Sprecher von Premierminister Tony Blair am Freitag in London. Er bestritt aber, dass die Regierung die Öffentlichkeit belogen habe. Was in dem Dossier gesagt werde, entspreche den Tatsachen. Ein grosser Teil der Informationen stammt aus einer Arbeit des 29-jährigen Wissenschafters Ibrahim al-Marashi aus Kalifornien. Sie wurde von ihm noch als Student verfasst.

Dem britischen Nachrichtensender BBC sagte al-Marashi, er habe sich in seiner Abschlussarbeit auf Dokumente gestützt, die kurdische Rebellen 1991 im Norden Iraks gefunden hätten oder die irakische Truppen beim letzten Golfkrieg in Kuwait zurückgelassen hätten. «Künftig werde ich misstrauischer sein, wenn ich etwas vom britischen Geheimdienst lese.» Das Material sei zusammengeklaubt und veraltet. «Die haben sogar meine Fehler dringelassen.»

Das am Montag veröffentlichte Dossier war vom amerikanischen Aussenminister Colin Powell bei seinem Vortrag vor dem Uno-Sicherheitsrat besonders gewürdigt worden. Mit dem Dossier wollte die britische Regierung die Bevölkerung von der Notwendigkeit eines entschiedenen Vorgehens gegen den irakischen Präsidenten Saddam Hussein überzeugen.

Der Fernsehsender «Channel 4» und andere britische Medien konnten jedoch nachweisen, dass mindestens 10 der 19 Seiten aus frei verfügbaren wissenschaftlichen Arbeiten übernommen worden sind. Die Labour-Abgeordnete und ehemalige Staatssekretärin Glenda Jackson sagte, das Dossier sei «ein weiteres Beispiel dafür, wie die Regierung das Land und das Parlament beim Thema eines möglichen Irak- Krieges zu täuschen versucht».

 

 

 

Aus den Stuttgarter Nachrichten vom 6.11.2002:

Supermärkte
Verdrängungskrieg im Einzelhandel


Immer mehr wohnortnahe Supermärkte müssen angesichts neuer, großer Versorgungszentren schließen

Konkurrenz belebt das Geschäft. Doch im Handel beendet sie auch so manche Existzenz. Ende 1997 verabschiedete die Stadt ein neues Konzept für großflächigen Einzelhandel. Seitdem wird die Luft für kleinere Supermärkte zunehmend dünner. Jüngstes Beispiel in einer Reihe von Betriebsschließungen: der HL-Markt in Rohr.

VON KONSTANTIN SCHWARZ

"Ich habe heute meinen letzten Tag hier", sagt Erich Haarer, und ein wenig Wehmut klingt in seiner Stimme mit. Der 54-jährige Marktleiter, der seine Ausbildung bei Rewe begann und der Handelsgruppe treu geblieben ist, zeichnet seit drei Jahren für den 550 Quadratmeter großen HL-Markt an der Schönbuchstraße verantwortlich. Am 14. Dezember wird die Kasse hier zum letzten Mal klingeln. Das Aus kommt nach 30 Jahren. Dabei, und das ist paradox, "schreiben wir hier schwarze Zahlen", sagt Haarer.

Die im Branchenschnitt zum gesunden Wirtschaften nötigen zehn bis zwölf Euro Umsatz pro Kunde würden erreicht. Eine Stammkundschaft, deren Alter um zehn bis 15 Jahre über dem Durchschnitt liegt, bereitet keine Probleme, sichert Beschäftigung für drei Voll- und sechs Teilzeitangestellte.

Der Grund für die Schließung des einzigen Marktes mit Vollsortiment in der alten Ortsmitte liegt im auslaufenden Mietvertrag und vor allem in der im Frühjahr 2004 öffnenden Schwaben-Galerie in Vaihingen. Dort wird ein 5500 Quadratmeter großes Kaufland einziehen. "Wenn eine zehn mal so große Konkurrenz kommt, dann wird das Geld, das wir hier investieren müssten, wohl nicht mehr reinkommen", begründet Haarer den vorsorglichen Rückzug. Die "Flucht nach vorn", die der deutlich größere HL in der Industriestraße in Vaihingen angetreten habe, könne nicht verantwortet werden.

Der Name Kaufland, ein Ableger der Unternehmensgruppe Schwarz, hat sich bei manchem Händler zum Reizwort entwickelt. So schließt Tengelmann seine Filiale in Möhringen. Der Betrieb sei nicht zu halten. Ein Grund dafür sei die neue Nachbarschaft. "Wir expandieren sehr stark", verweist man in der Neckarsulmer Kaufland-Zentrale stolz auf die in Mühlhausen im März 2001 und in Möhringen im Oktober 2001 eröffneten Neubauten und den 1998 in Betrieb gegangenen Handelshof in Untertürkheim.

Gemeinderat und Stadtverwaltung hatten mit einem Konzept Ende 1997 ihre zuvor restriktive Haltung aufgegeben und die Ansiedlung der teils mehrstöckigen Märkte bewusst gefördert. Die Landeshauptstadt habe einen "deutlichen Nachholbedarf", begründete die Verwaltung vor fünf Jahren die Freigabe von rund 80000 Quadratmeter neuer Handelsfläche. Bei der jüngsten Bürgerversammlung in Untertürkheim allerdings war vom eigenen Zutun keine Rede. Der Trend zum großflächigen Einzelhandel zeige sich bundesweit, tröstete OB Schuster.

Als Folge der beschlossenen Ausweitung und fehlender Kaufkraft prophezeite Frank Steinmann, Einzelhändler im Verein "Attraktives Stuttgart", 1997 einen "Verdrängungskrieg". Er scheint in vollem Gange.

"Wo soll der Umsatz herkommen?", klagt ein Mitarbeiter des Edeka-Marktes im Untertürkheimer Zentrum. Der 800 Quadratmeter große Laden wird Ende 2003 geschlossen, das gleiche Schicksal teilt ein Markt in der Spitzwegstraße auf dem Killesberg. Eine Gnadenfrist bis ebenfalls Ende 2003 setzte die Offenburger Edeka-Zentrale ihrer Filiale in der Marin-Luther-Straße in Bad Cannstatt. "Wir sind mit 700 Quadratmetern zu klein, können nicht das ganze Sortiment stellen", sagt Leiterin Larissa Bosch, die Konkurrenz im Rücken. Bald soll im Cannstatt-Carré auf der zigfachen Fläche eingekauft werden können.

 

 

 


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junge welt                                                              26.09.2002
 
Ausland
Matthias Becker, London
Bündnis gegen den Krieg
 
Britische Antikriegsbewegung gewinnt an Dynamik. Großdemonstration am Sonnabend in London
 
Während der Krieg gegen den Irak in Sichtweite gerät, gewinnt auch die Antikriegsbewegung im Vereinigten Königreich an Fahrt. Erstmals gibt es laut Meinungsumfragen eine Mehrheit, die einen Krieg ablehnt. Sogar Boulevardblättter wie der Daily Mirror schwenken auf den Antikriegskurs ein. »Weil Großbritannien den Krieg nicht nur unterstützt, sondern ihn führen wird, haben wir hier eine entscheidende Aufgabe«, meint Peter Leary von der Student’s campaign for Nuclear Disarmament.

Pazifismus ist traditionell stark verankert in Großbritannien. In den 70er und 80er Jahren organisierte die Campaign for Nuclear Disarmament (CND, Bewegung für atomare Abrüstung) eindrucksvolle Massenproteste; eine Tradition, die scheinbar noch nicht ganz gestorben ist. Am kommenden Samstag soll eine landesweite Demonstration in London stattfinden, zu der über 100 000 Menschen erwartet werden. Organisiert wird sie von einem breiten Bündnis aus diversen Parteien, den großen Gewerkschaften und vielen Friedensinitiativen, unterstützt wird sie von zahlreichen prominenten Einzelpersonen. Auf ihr wird auch der Bürgermeister der Hauptstadt, Ken Livingston, sprechen. Im Süden Londons, einer der letzten linken Hochburgen Englands, laufen die Vorbereitungen derzeit auf Hochtouren: überall hängen Plakate gegen den Krieg und für die Demonstration am Samstag.

Zu den Organisatoren der Demonstration gehört auch die islamische Gruppe Muslim Association of Britain. In der vergangenen Woche haben verschiedene muslimische Organisationen vor einem Krieg gegen den Irak gewarnt. Berührungsängste hat die britische Linke mit den religiösen Gruppen nicht.

Die Demonstration soll auch genutzt werden, um Sympathie mit der palästinensische Sache zu dokumentieren. Auf den Plakaten steht die Forderung »Freiheit für Palästina!« fast ebenso groß wie »Stoppt den Krieg!«. Um Differenzierung im Nahostkonflikt bemühen sich manche britische Linke kaum; was in Deutschland vermutlich Entsetzen hervorrufen würde, ist gang und gäbe. Eric Hobsbawm etwa, die Koryphäe unter den linken britischen Historikern, sagte vorige Woche in einem Interview mit dem Guardian über die Siedlungspolitik Israels, sie laufe »auf Genozid hinaus«. Und Ken Loach, prominenter linker Filmemacher, fragte ebenfalls im Guardian, warum denn die Massenvernichtungswaffen im Irak ein derartiges Problem seien, die Atombomben Israels aber nicht.

 

 

 

junge Welt  11.07.2002

 
Ausland
Rainer Rupp
 
Kampfeinheiten abgezogen
 
Kritik an US-Kriegsführung: Großbritannien beordert Royal Marines aus Afghanistan zurück
 
In der unwirtlichen Bergregion Ostafghanistans endete am Dienstag die alliierte »Operation Bussard« und damit auch der Kampfeinsatz der 1700 britischen Soldaten am Hindukusch. Die Royal Marines waren Anfang des Jahres von der US-Army zur Unterstützung angefordert worden. Wegen ihrer Spezialausbildung, die sie auch zu Experten für die Kriegsführung im Hochgebirge machte, waren die Briten sehr begehrt, insbesondere nach dem Desaster der US-Operation »Anaconda« im März. Dieser erste amerikanische Einsatz im afghanischen Hochgebirge endete mit einem Desaster für die US-Elitesoldaten. Bei ihrem schlecht geplanten Angriff hatten sie neun Tote und Dutzende Verletzte zu beklagen. Im Chaos der Kampfhandlungen mußten sich die US-Einheiten schließlich fluchtartig zurückziehen.

Nach dieser schlimmen Erfahrung forderte Washington Hilfe von den Royal Marines, was jedoch bei der militärischen Führung in London auf ziemlichen Widerstand stieß. Die Briten konnten im Vorgehen der US-Armee kein klares Konzept erkennen, sondern - wie damals zwischen den Zeilen deutlich wurde - lediglich gefährlichen Aktionismus, für den sie Leben und Gesundheit ihrer Soldaten nicht riskieren wollten. Premierminister Tony Blair schließlich, der im »Krieg gegen den Terror« für alle sichtbar fest an der Seite Washingtons gesehen werden wollte, setzte die Entsendung der Royal Marines nach Afghanistan durch.

Statt einen heißen Krieg gegen die Taliban zu führen, sahen sich die britischen Soldaten jedoch wegen zunehmender Differenzen über die Art der Kriegsführung in einen diplomatischen Konflikt mit ihren amerikanischen Waffenbrüdern verwickelt. Die US-Truppen verhielten sich in Afghanistan »wie ein Elefant im Porzellanladen«. Der Ende Juni in London gemachte Vorwurf, über den die britische Tageszeitung Daily Telegraph berichtete, kam von höchsten Regierungsbeamten aus dem Umfeld Blairs. Aufgrund des ungeschickten und groben Vorgehens der USA würde in der afghanischen Bevölkerung die Unterstützung für Taliban und Al Qaida zunehmen. »Die Amerikaner glauben, sie könnten einfach überall reinmarschieren und schießen«, zitierte das Blatt einen britischen Regierungsbeamten. »Sie haben keine Ahnung von den Empfindlichkeiten in den Stammesgebieten. Wir haben da viele Jahre Erfahrung und wissen genau, daß die Anwendung von Gewalt nur das Gegenteil bewirkt und die Sympathie für Al Qaida fördert.«

Die deutliche Kritik aus London läßt erahnen, wie groß die britische Frustration über das Vorgehen ihrer US-Kollegen ist. Sie dürfte den Entschluß zum totalen Rückzug der britischen Kampftruppen beschleunigt haben. Auch die britischen ISAF-Einheiten in Kabul sollen reduziert werden. Bereits in den nächsten Wochen sollen sie von 1250 auf 400 Mann heruntergefahren werden. Man sei aber bereit, erneut Truppen zu Kampfeinsätzen nach Afghanistan zu schicken, wenn sie von den USA angefordert würden, ließ der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon inzwischen wissen. Aber nicht ohne genaue Aufgabenstellung, fügte einer seiner Beamten hinzu. London sei »nicht bereit, erneut Soldaten dorthin zu schicken, nur um vor Ort Präsenz zu zeigen«.

NETZEITUNG ( www.netzeitung.de

Tausende demonstrieren für den Frieden

29. Sep 18:36, ergänzt 18:49

Auch in dieser Woche haben mehrere tausend Menschen in Deutschland, der Schweiz und den USA gegen militärische Vergeltungsschläge demonstriert. Krieg dürfe kein Mittel im Kampf gegen den Terrorismus sein, forderten sie.

Rund 1.000 Menschen haben sich am Samstag in Frankfurt am Main an einer Friedensdemonstration beteiligt. Die durch die Terroranschläge in den USA entstandene Krise müsse ohne Kriegseinsatz gemeistert werden, forderten mehrere Redner auf einer Kundgebung vor der Alten Oper.

Zu der Protestaktion aufgerufen hatten unter anderen Gewerkschaften, die katholische Friedensbewegung «pax christi» und die Ausländervertretung der Mainmetropole.

In das «Kriegsgeschrei der Falken» einzustimmen hieße, die Freundschaft zu den USA falsch zu verstehen, sagte Harald Fiedler vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Freundschaft bedeute auch, jemanden von törichten Handlungen abzuhalten. Der Kampf gegen Armut, soziale Ungerechtigkeit und ökologische Zerstörung sei mühsam, aber der einzig Erfolg versprechende Weg aus der Krise. Sicherheit sei nur über militärische Abrüstung zu erreichen.

Demonstration in Washington

«Zerstört den Imperialismus, nicht Afghanistan», stand auf einem Spruchband, das Demonstranten trugen in Washington hochhielten. Dort gingen etwa 2000 Menschen auf die Straße. Die meisten Teilnehmer der Kundgebung trugen Schwarz und verbargen ihre Gesichter hinter Tüchern und Schweißbrillen. Polizisten einer Anti-Aufruhr-Einheit begleiteten den Demonstrationszug.

«Wir wollen zeigen, dass die Außenpolitik der USA zu diesen Anschlägen (in New York und Washington) beigetragen hat», sagte ein 27-jähriger Landwirt aus Massachusetts. Eine 19-jährige Studentin meinte, statt militärischer Vergeltung sei die «Lösung», für die internationale Justiz zu arbeiten. «Wir müssen alle uns zur Verfügung stehenen demokratischen Mittel nutzen.»

Krieg bedeutet neues Leid

Auf Spruchbändern forderten Demonstranten, die Verantwortlichen für die Anschläge vom 11. September «aufzuspüren» und vor Gericht zu stellen, ohne mit einem Krieg neues Leid zu verursachen. Sprecher verschiedener Organisationen kritisierten die Zusage der Bundesregierung, den USA «uneingeschränkte Unterstützung» zu gewähren, und bezeichneten das Versprechen als einen «Blankoscheck». In Afghanistan seien Millionen Menschen auf der Flucht.

Größte Veranstaltung in Zürich

In Zürich nahmen nach Angaben der Veranstalter 3000 Menschen am Freitagabend an einer nationalen Friedenskundgebung teil. Bei der Kundgebung wurde auch der Amoklauf im Zuger Kantonsparlament mit einbezogen, bei dem 15 Menschen starben. Als Symbol für den Frieden ließen die Veranstalter 50 weiße Tauben frei. (nz)

 


 

 

 

Stuttgarter Zeitung vom 3.9.2001

Vaihinger Verkehr bereitet SSB Sorgen

Die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) betrachtet die wachsenden Verkehrsmengen in der Vaihinger Hauptstraße mit Sorge. Dies geht aus einer Stellungnahme des städtischen Verkehrsunternehmens gegenüber der SPD-Ratsfraktion hervor. Nach Angaben der SSB gibt es morgens zwischen 9:30 und 11:30 Uhr "stadteinwärts wieder Rückstaus zwischen Krehl- und Seerosenstraße zu beobachten." Abends zwischen 16.30 und 19 Uhr seien die Staus "stadtauswärts zwischen dem Schillerplatz und der Seerosenstraße zu beobachten." Wegen dieser Staus könne der SSB-Linienbusverkehr nicht pünktlich abgewickelt werden, so die Straßenbahn in ihrer Stellungnahme. Mit jeder weiteren Zunahme des Autoverkehrs verschärfe sich diese Situation. Dabei werde es nicht ausreichen, die Busse an den Ampeln in Vaihingen zu bevorrechtigen, um einen flüssigen Betrieb zu erreichen.

Deshalb fordert die SSB den Gemeinderat dazu auf, "die seither mit Inbetriebnahme der Ostumfahrung geplanten Busfahrstreifen zwischen Heerstraße und Robert-Koch-Straße einzurichten und dort auf Baumpflanzungen zu verzichten. Im übrigen lehnt die SSB eine Stadtbahnverbindung zwischen Vaihinger Bahnhof und Hauptstraße als "ziemlich utopisch" ab, der notwendige Tunnelbau wäre zu teuer. (tom)


 

 

 

Kommentar (junge Welt)

13.09.2001
USA under attack
Der Krieg kehrt ins Zentrum der Macht zurück

Zum ersten Mal in der Geschichte des US- Nachrichtensenders CNN mußten dessen Reporter melden: »USA under Attack.« Die CNN-Kriegsberichterstatter waren Jahrzehnte andere Ländernamen gewohnt: Kambodscha, Laos, Vietnam, Kuba, Chile, Panama, Grenada, Irak, Serbien »under Attack« - der USA. Es scheint so, als sei der Krieg aus der ausgeplünderten Peripherie in das Zentrum der Macht zurückgekehrt.

»Das ist eine Kriegserklärung an die zivilisierte Welt« verkündete Bundeskanzler Schröder sogleich - eine Arroganz, die von zwei Dritteln der Menschheit als purer Rassismus empfunden werden muß.

Niemand kann sich über den Tod Tausender unschuldiger Menschen freuen, auch nicht klammheimlich. Traurig machen die Toten in den USA, ebenso traurig und zornig wie die zwei Millionen Toten in Vietnam oder die eineinhalb Millionen Toten im Irak, die in Folge der Blockadepolitik der USA elendig sterben mußten. Aber auch diese Toten sind real. Auch um sie haben Mütter und Väter getrauert. Unklar ist gegenwärtig noch, wer für die Angriffe auf das ökonomischen und militärische Herz der USA verantwortlich ist. Zu befürchten ist aber, daß die USA nun zum »Big Stick« greifen und zuschlagen werden. Mit aller militärischen Wucht zuschlagen und erst hinterher fragen, ob man überhaupt den »richtigen« bestraft hat - auch das ist seit Jahrzehnten US-amerikanische Außenpolitik. Und »Schurkenstaaten« gibt es ja genug. Die Konsequenzen, die sich für den Weltfrieden aus dieser US-Politik ergeben, sind gegenwärtig noch nicht absehbar. Die Politik der Härte, der Stärke und Vergeltung ist mit den Angriffen in den USA selbst obsolet geworden. Die imperialistische Führungsmacht ist verwundbar. Keiner der omnipotenten US-Geheimdienste konnte das verhindern und wird es auch in Zukunft nicht verhindern können. Die zahlreichen kriegerischen Konflikte in der Welt, in denen die USA aus ökonomische Interessen militärisch involviert sind, müssen befriedet werden. Und zwar auf dem Verhandlungsweg.

Ganz oben steht der Krieg im Nahen Osten. Israel und die Schutzmacht USA müssen an den Verhandlungstisch. Es muß über einen gerechten Frieden für die gesamten Region verhandelt werden, bei dem die Rechte der Palästinenser ebenso berücksichtigt werden müssen wie das Existenzrecht Israels. Verhandeln oder Barbarei - das sind die Alternativen.

Till Meyer

 


 

 

junge welt 11.6.01

Der große Beschiß

Heute wird in Berlin der Atomkonsens unterschrieben.

Von Reimar Paul


Mit fast einjähriger Verzögerung werden Bundeskanzler Gerhard 
Schröder und vier Vertreter der Energiekonzerne am heutigen 
Montag in Berlin den sogenannten Atomkonsens unterschreiben. Das 
am 14. Juni 2000 vorgestellte Papier war zunächst nur 
abgezeichnet worden. Die Stromwirtschaft hatte mit der 
Ratifizierung gezögert, weil sie die Regierungsnovelle zum 
Atomgesetz abwarten wollte.

Skeptisch hinsichtlich der Ausstiegsgespräche zwischen SPD-Grünen-
Regierung und Energiemultis waren Umweltverbände und 
Antiatominitiativen von Beginn an gewesen. Mit der Parole 
»Konsens ist Nonsens« hatten sie die sich über anderthalb Jahre 
dahinschleppenden Verhandlungen begleitet und statt dessen ein 
zügiges Ende der Atomkraftnutzung per Dekret gefordert.

Nach Bekanntwerden des Vertragstextes war die Kritik blankem 
Entsetzen gewichen. »Unsere schlimmsten Befürchtungen sind noch 
weit übertroffen worden«, sagte Jochen Stay. Die 
Atomkraftwerksbetreiber, meinte der Sprecher der Kampagne »x-
tausendmal quer«, hatten »noch nie so ideale Rahmenbedingungen 
wie jetzt«. Greenpeace schlug in dieselbe Kerbe. »Das 
Konsenspapier übertrifft alle bisherigen Zugeständnisse an die 
Betreiber«, urteilte die Energie-Expertin der Organisation, 
Susanne Ochse.

Tatsächlich hat der erzielte Konsens auch bei wohlwollendster 
Betrachtung mit dem im Koalitionsvertrag versprochenen 
Atomausstieg nicht viel zu tun. Statt der von den Grünen noch als 
»äußerste Schmerzgrenze« angebotenen 30 Jahre dürfen die 
Atomkraftwerke im Durchschnitt mindestens 32, nach Greenpeace-
Schätzungen sogar bis zu 35 Jahre am Netz bleiben und dabei 
weitere 7 000 Tonnen hochradioaktiven Atomschrott produzieren.

Ihren Rückzieher in der zentralen Frage der Reaktorlaufzeiten hat 
die Regierung durch die Umrechnung der Betriebsdauer in 
Reststrommengen nicht kaschieren können. Die den Konzernen 
zugestandenen rund 2 623,3 Terawattstunden (eine Terawattstunde 
gleich eine Million Kilowattstunden) Atomreststrom entsprechen 
ziemlich genau der Strommenge, die bislang von den 19 deutschen 
AKW geliefert wurde. Weil die Betreiber die ausgehandelten 
Kontingente zudem von älteren auf neuere Anlagen übertragen 
dürfen, steht in den Sternen, wann der letzte Meiler vom Netz 
geht. Ein Datum wurde in dem Abkommen ausdrücklich nicht 
vereinbart. Die profitabelsten Kraftwerke können so ohne weiteres 
noch bis 2020 oder 2025 laufen.

Obendrein hat die Regierung dem Atomkraftwerkspark eine Art 
amtlichen Bestandsschutz gewährt. Weil sich die Stromwirtschaft 
überhaupt auf eine Befristung des Reaktorbetriebs eingelassen und 
den »Primat der Politik anerkannt« hat, soll im Gegenzug »für die 
verbleibende Nutzungsdauer der ungestörte Betrieb der 
Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden«.

Die Bundesregierung verpflichtet sich dabei, die 
Sicherheitsanforderungen nicht zu verschärfen, und sie wird auch 
»keine Maßnahmen ergreifen, mit der die Nutzung der Kernenergie 
durch einseitige Maßnahmen diskreditiert wird. Dies gilt auch für 
das Steuerrecht«. Eine Besteuerung von Kernbrennstoffen, wie sie 
in der Vergangenheit insbesondere SPD-Umweltpolitiker zwecks 
fiskalischer Gleichstellung etwa mit Kohle, Öl oder Gas gefordert 
hatten, ist damit endgültig vom Tisch.

Atomkraftwerke sind auch in Zukunft nicht wesentlich besser 
versichert als bislang. Zwar wird die Haftpflicht- 
Deckungsvorsorge für schwere Störfälle von 500 Millionen auf fünf 
Milliarden Mark erhöht. Doch auch das bleibt ein Tropfen auf den 
heißen Stein, denn damit sind zukünftig statt 0,01 Prozent nun 
etwa 0,1 Prozent der bei einem großen Unfall zu erwartenden 
Schäden abgedeckt. Für die einzelnen Betreiber bedeutet die 
höhere Versicherungssumme keine wirtschaftliche Belastung, weil 
sie sich zu einem Versicherungspool zusammenschließen und 
gegenseitig füreinander haften.

Bei der Atommüllentsorgung liest sich der Atomkonsens ebenfalls 
wie von der Industrie diktiert. Anstatt konkrete Schritte für 
eine dauerhafte Verwahrung insbesondere des hochradioaktiven 
Mülls festzuklopfen und alle Kapazitäten auf die Suche nach einem 
sicheren Endlager zu konzentrieren, verschieben Regierung und 
Stromkonzerne das Problem auf spätere Manager- und 
Politikergenerationen.

Ein Ende der ökologisch wie ökonomisch wahnwitzigen 
Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente ist unabsehbar. 
Hatte sich Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) in den 
Anfangsmonaten der Koalition noch für ein sofortiges Verbot 
dieser Technologie stark gemacht, erklärt er es nunmehr als 
großen Erfolg, daß die Wiederaufarbeitung deutschen Atommülls in 
La Hague und Sellafield im Jahr 2005 beendet werden soll. Die 
meisten Medien haben diese Sprachregelung übernommen. Dabei hat 
die Atomindustrie lediglich zugestimmt, in jenem Jahr 2005 die 
Transporte ins Ausland zu beenden. Im Atomkonsens heißt es: 
»Angelieferte Mengen dürfen verwertet werden.« Aus La Hague 
verlautete bereits, daß die Fabrik damit noch 15 Jahre 
weiterarbeiten könne.

Einer wesentlichen Forderung der Atomindustrie, der Aufhebung des 
Transportstopps, hatte sich Trittin schon Anfang des Jahres 
gebeugt. Seit dem Rücktransport von Abfällen aus La Hague nach 
Gorleben ist das Atommüllkarussell richtig auf Touren gekommen. 
Begleitet von Protesten, rollen in diesen Wochen und Monaten von 
fast allen AKW-Standorten Castoren nach Frankreich und England.

Mit den Transportgenehmigungen hat die Bundesregierung indes nur 
die dringlichsten Entsorgungsnöte der Betreiber lindern können. 
Um der Industrie auch über das Jahr 2005 hinaus zu dienen, wurde 
im Atomkonsens die Errichtung dezentraler Zwischenlager 
vereinbart. An den Reaktorstandorten sollen riesige Betonschuppen 
entstehen, in denen die Brennelemente bis zu 40 Jahre lang 
gelagert werden können. Die Genehmigungsverfahren für die Hallen 
werden mit Hochdruck durchgezogen. Mit der Inbetriebnahme der 
Zwischenlager ist bis spätestens 2005 zu rechnen. Bis dahin 
dürfen die Konzerne obendrein »vorläufige Lagermöglichkeiten« 
schaffen, Verfahren für den Bau sogenannter »Interimslager« 
laufen bereits in Neckarwestheim und Philippsburg.

Im Koalitionsvertrag hieß es noch, an der Eignung des Salzstocks 
Gorleben als Endlager für hochradioaktiven Atommüll bestünden 
Zweifel. Die hat die Bundesregierung nun offenbar nicht mehr. Sie 
hat die Erkundung des Salzstocks zwar für drei bis zehn Jahre 
unterbrochen, doch ausschließlich »zur Klärung konzeptioneller 
und sicherheitstechnischer Fragen«. Betont wird, daß man bei der 
Untersuchung keinerlei Erkenntnisse gewonnen habe, daß Gorleben 
nicht geeignet sein könnte. »Das Moratorium bedeutet keine 
Aufgabe von Gorleben als Standort für ein Endlager«, erklärte die 
Regierung.

Auch die angekündigte Genehmigung des Endlagers Schacht Konrad 
für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ist ein klarer Bruch 
der im Koalitionsvertrag abgegebenen Versprechen. Der Bund nimmt 
lediglich den Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des 
Planfeststellungsbeschlusses zurück und gibt die Verantwortung, 
ob es tatsächlich zu einer Einlagerung kommt, an die Gerichte 
weiter.

Noch am Wochenende bemühten sich ranghohe Vertreter der 
Koalition, den Konsens als wesentlichen Schritt zur Beendigung 
der Atomkraft zu verteidigen. Insbesondere Trittin wurde nicht 
müde, die Vereinbarung als endgültigen Ausstieg aus der 
Atomenergie zu verkaufen. Gleichzeitig ließen CDU und CSU wissen, 
sie würden im Falle eines Wahlsiegs im kommenden Jahr den 
Ausstieg rückgängig machen. Die Industrie hält den Ausstieg auch 
nicht unbedingt für endgültig, ist aber zufrieden. Dazu e.on-
Manager Otto Majewski: »Unser erklärtes Ziel, die deutschen 
Kernkraftwerke zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen 
weiterhin nutzen zu können, haben wir erreicht. Die rot-grüne 
Bundesregierung wäre durchaus in der Lage gewesen, den Bestand 
und Betrieb der Kernkraftwerke nachhaltig zu beeinträchtigen«.


 

 

taz 9.4.01

Grün ist der Polizeistaat

Der Atomkonsens wird von der Bevölkerung nicht akzeptiert. Das
beweisen die Castor-Proteste im Wendland und jetzt wieder in
Philippsburg. Die Grünen verlieren ihre Wähler


Wenn die Grünen tatsächlich vorhaben, den Castor-Protest 
auszusitzen, könnte das ihr Untergang werden. Denn die 
unüberhörbare Botschaft aus Gorleben lautet: Ein Atomkonsens ohne 
Bevölkerung ist keiner. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oswald 
Metzger brachte dieses Dilemma auf den Punkt. Er kommentierte die 
Entscheidung von Claudia Roth und Fritz Kuhn, nicht zu den Castor- 
BlockiererInnen im Wendland zu fahren: "Mit diesen Leuten können 
Sie als Regierungspartei, die einen Atomkonsens auf eine längere 
Frist von nahezu 20 Jahren beschlossen hat, nicht mehr 
diskutieren."

Danke, Herr Metzger, das wars. Lauter und hässlicher kann man das 
Tischtuch nicht zerreißen oder vielmehr den letzten Fetzen, der 
Regierungsgrüne und AtomgegnerInnen noch verband. Der kleine 
dumme Umstand für die Grünen in Amt und Anzug ist nur, dass der 
Konflikt in Gorleben nicht irgendeiner ist. Es geht nicht um 
Schnürsenkel. Oder um biogasbetriebene Wischwaschanlagen. Es geht 
immerhin um Atomenergie und die von ihr in Gang gesetzte 
gesellschaftliche Kettenreaktion.

Dabei hat die verzweifelte Opposition gegen eine 
Energiewirtschaft, die die Zukunft für die Gegenwart verheizt, 
Gründung und Aufstieg der grünen Partei überhaupt erst möglich 
gemacht. Ausgerechnet in Niedersachsen stand die Wiege der 
Grünen: Dort wurde die erste grüne Wahlvereinigung gegründet, 
1979 begrüßten dort 100.000 AtomgegnerInnen den Treck der 
wendländischen Bauern in Hannover. Jahre und Jahrzehnte lang hat 
dieser antinukleare Kampf den Kern der grünen Identität 
ausgemacht. Die Grünen wurden gewählt, weil sie in den Augen 
ihrer AnhängerInnen "unsere Leute" waren - die Bindung zwischen 
WählerInnen und Gewählten war viel stärker als bei allen anderen 
Parteien.

Damit ist es nicht nur im Wendland aus und vorbei. Es ist 
uninteressant, ob man, wie Warnfried Dettling neulich an dieser 
Stelle, "Verrat" in der Politik für eine untaugliche Kategorie 
hält: Wenn es die Menschen so empfinden, dann wird diese 
Kategorie zur emotionalen Wirklichkeit. Lediglich ein Wall von 
Mikrofonen und Kameras schützte die Greengirls Kerstin Müller und 
Claudia Roth vor den aufgebrachten LandwirtInnen kurz vor der 
Ankunft der Castoren. AtomgegnerInnen machten sich einen Spaß 
daraus, mit Trittin- und Fischer-Masken vermummt auf den Gleisen 
herumzuturnen. Im gesamten Landkreis gibt es kaum mehr grüne 
Parteimitglieder, selbst Gründungsmitglieder wie die frühere BI- 
Vorsitzende Marianne Fritzen sind längst ausgetreten. Die 
Einzige, die noch Ansehen genießt, ist die Fraktionschefin der 
niedersächsischen Grünen, die tapfere Rebecca Harms, die sich von 
Parteioberen nie den Mund hat verbieten lassen.

Mit jedem weiteren durchgeprügelten Castor werden die Grünen im 
Wendland und in ganz Deutschland weitere Wählerstimmen verlieren 
und keinen einzigen neuen Wähler hinzugewinnen. Und da behauptet 
Matthias Urbach kürzlich auf dieser Seite, dass in Gorleben "so 
etwas wie ein grüner Stammtisch" versammelt sei, der von den 
Grünen nur "gepflegt" werden müsse, wie das die CSU mit ihrer 
Klientel auch täte. Dieser Vorschlag hat es faustdick grün hinter 
den Ohren.

Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass das Wendland zu 
befrieden wäre. Beim letzten Mal hielt die Straßenblockade gegen 
die Castoren sieben Stunden, dieses Mal zwang Robin Wood mit dem 
großartigsten aller Coups den Castor-Zug zur Umkehr, nächstes Mal 
und übernächstes Mal und überübernächstes Mal wird es unter 
Garantie wieder eine Überraschung geben. Die Zahl der beteiligten 
DemonstrantInnen mag schwanken, das hat sie immer getan, aber 24 
Jahre antiatomarer Kampf voller Kreavität und Fantasie haben den 
Widerstand ins Wendland fest einbetoniert. Eine gemeinsame 
Presseerklärung von BUND, Robin Wood, Greenpeace und X-tausendmal 
quer brachte die Sache auf den Punkt: Der so genannte Atomkonsens 
"ist kein Konsens mit der Bevölkerung". Was auch die derzeitigen 
Proteste gegen den am Dienstag beginnenden Transport von Atommüll 
aus deutschen Kraftwerken ins französische La Hague wieder einmal 
beweisen.

Solche Bilder werden uns leider noch einige Jahre begleiten: Denn 
nach den im Juni 2000 zwischen rot-grüner Bundesregierung und 
Energiewirtschaft getroffenen Vereinbarungen dürfen die 
Atommeiler 32 Jahre weiterlaufen. Zudem ist die 
Wiederaufbereitung und damit die Verzehnfachung des Atommülls 
mindestens bis 2005 erlaubt, und ein Endlager Gorleben samt 
Konditionierungsanlage wird nicht ausgeschlossen.

Sie hätten ihr Ziel erreicht, freute sich damals Otto Majewski 
von den Bayernwerken: "Die rot-grüne Bundesregierung wäre 
durchaus in der Lage gewesen, den Bestand und den Betrieb der 
deutschen Kernkraftwerke nachhaltig zu beeinträchtigen." Nur in 
einer Hinsicht unterlief den Atombossen ein Fehler: Der von Rot- 
Grün auf die Reise geschickte Atommüll stieß keineswegs auf mehr 
Akzeptanz bei den Bürgern als vorher.

Und das, obwohl das grüne Bundesumweltministerium ein ums andere 
Mal behauptete, hier ginge es um die völkerrechtlich verbindlich 
vorgeschriebene Rücknahme des deutschen Mülls aus La Hague. Das 
aber ist nur die halbe Wahrheit: Die Atomtransporte nach Gorleben 
schaffen in La Hague Platz für weitere Brennelemente aus 
deutschen Atomkraftwerken, sodass die Wiederaufbereitung in ihrer 
ganzen Gefährlichkeit fortgesetzt werden kann - und der Betrieb 
der Meiler ebenfalls. Im Gegensatz zu ihrem deutschen 
Amtskollegen Trittin erklärte sich die französische 
Umweltministerin Dominique Voynet deshalb mit den 
CastorblockiererInnen solidarisch und beglückwünschte die 
WendländerInnen "zu ihrer unglaublichen Mobilisierungskraft". 
Weder in La Hague noch in Lüchow-Dannenberg, so die Chefin der 
französischen Grünen, akzeptiere die Bevölkerung die Abladeplätze 
für Atommüll.

Und dennoch bemühen sich fast alle deutschen Grünen reflexartig 
zu versichern, sie hätten nicht vor, den Atomkonsens neu zu 
verhandeln. Aber was ist mit einem Vertrag, der politisch nicht 
durchsetzbar ist? Er ist Makulatur. Reif fürs Altpapier. 
Zumindest der Teil des nuklearen Szenarios, der Atomtransporte, 
Zwischenlager und Endlager umschließt, ist definitiv nicht 
durchsetzbar. Das sagt nicht nur Rebecca Harms, das sagen auch 
Polizeisprecher sowie der niedersächsische Ministerpräsident 
Sigmar Gabriel und andere hohe Sozialdemokraten. Sie alle wissen: 
Noch so ein Einsatz, dann meutert womöglich auch noch die 
Polizei.

166 Castor-Transporte aus La Hague und Sellafield bis 2010 - das 
kostet Milliarden, das wird finanziell und politisch 
unerträglich. Doch die grünen MinisterInnen und Abgeordneten 
schweigen eisern. Es ist schier unglaublich. Kein Wunder, dass 
die Lüchow-DannenbergerInnen verbittert behaupten: Grün ist der 
Polizeistaat. UTE SCHEUB