junge Welt 11.07.2002 |
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Ausland | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Rainer Rupp | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kampfeinheiten abgezogen | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kritik an US-Kriegsführung: Großbritannien beordert Royal Marines aus Afghanistan zurück | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
In der unwirtlichen Bergregion Ostafghanistans endete am
Dienstag die alliierte »Operation Bussard« und damit auch der
Kampfeinsatz der 1700 britischen Soldaten am Hindukusch. Die Royal Marines
waren Anfang des Jahres von der US-Army zur Unterstützung angefordert
worden. Wegen ihrer Spezialausbildung, die sie auch zu Experten für die
Kriegsführung im Hochgebirge machte, waren die Briten sehr begehrt,
insbesondere nach dem Desaster der US-Operation »Anaconda« im März.
Dieser erste amerikanische Einsatz im afghanischen Hochgebirge endete mit
einem Desaster für die US-Elitesoldaten. Bei ihrem schlecht geplanten
Angriff hatten sie neun Tote und Dutzende Verletzte zu beklagen. Im Chaos
der Kampfhandlungen mußten sich die US-Einheiten schließlich fluchtartig
zurückziehen. Nach dieser schlimmen Erfahrung forderte Washington Hilfe von den Royal Marines, was jedoch bei der militärischen Führung in London auf ziemlichen Widerstand stieß. Die Briten konnten im Vorgehen der US-Armee kein klares Konzept erkennen, sondern - wie damals zwischen den Zeilen deutlich wurde - lediglich gefährlichen Aktionismus, für den sie Leben und Gesundheit ihrer Soldaten nicht riskieren wollten. Premierminister Tony Blair schließlich, der im »Krieg gegen den Terror« für alle sichtbar fest an der Seite Washingtons gesehen werden wollte, setzte die Entsendung der Royal Marines nach Afghanistan durch. Statt einen heißen Krieg gegen die Taliban zu führen, sahen sich die britischen Soldaten jedoch wegen zunehmender Differenzen über die Art der Kriegsführung in einen diplomatischen Konflikt mit ihren amerikanischen Waffenbrüdern verwickelt. Die US-Truppen verhielten sich in Afghanistan »wie ein Elefant im Porzellanladen«. Der Ende Juni in London gemachte Vorwurf, über den die britische Tageszeitung Daily Telegraph berichtete, kam von höchsten Regierungsbeamten aus dem Umfeld Blairs. Aufgrund des ungeschickten und groben Vorgehens der USA würde in der afghanischen Bevölkerung die Unterstützung für Taliban und Al Qaida zunehmen. »Die Amerikaner glauben, sie könnten einfach überall reinmarschieren und schießen«, zitierte das Blatt einen britischen Regierungsbeamten. »Sie haben keine Ahnung von den Empfindlichkeiten in den Stammesgebieten. Wir haben da viele Jahre Erfahrung und wissen genau, daß die Anwendung von Gewalt nur das Gegenteil bewirkt und die Sympathie für Al Qaida fördert.« Die deutliche Kritik aus London läßt erahnen, wie groß die britische Frustration über das Vorgehen ihrer US-Kollegen ist. Sie dürfte den Entschluß zum totalen Rückzug der britischen Kampftruppen beschleunigt haben. Auch die britischen ISAF-Einheiten in Kabul sollen reduziert werden. Bereits in den nächsten Wochen sollen sie von 1250 auf 400 Mann heruntergefahren werden. Man sei aber bereit, erneut Truppen zu Kampfeinsätzen nach Afghanistan zu schicken, wenn sie von den USA angefordert würden, ließ der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon inzwischen wissen. Aber nicht ohne genaue Aufgabenstellung, fügte einer seiner Beamten hinzu. London sei »nicht bereit, erneut Soldaten dorthin zu schicken, nur um vor Ort Präsenz zu zeigen«. |
NETZEITUNG ( www.netzeitung.de )
Tausende
demonstrieren für den Frieden
29. Sep 18:36, ergänzt 18:49
Auch in dieser Woche haben mehrere tausend Menschen in Deutschland, der Schweiz und den USA gegen militärische Vergeltungsschläge demonstriert. Krieg dürfe kein Mittel im Kampf gegen den Terrorismus sein, forderten sie.
Rund 1.000 Menschen haben sich am Samstag in Frankfurt am Main an einer Friedensdemonstration beteiligt. Die durch die Terroranschläge in den USA entstandene Krise müsse ohne Kriegseinsatz gemeistert werden, forderten mehrere Redner auf einer Kundgebung vor der Alten Oper.
Zu der Protestaktion aufgerufen hatten unter anderen Gewerkschaften, die katholische Friedensbewegung «pax christi» und die Ausländervertretung der Mainmetropole.
In das «Kriegsgeschrei der Falken» einzustimmen hieße, die Freundschaft zu den USA falsch zu verstehen, sagte Harald Fiedler vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Freundschaft bedeute auch, jemanden von törichten Handlungen abzuhalten. Der Kampf gegen Armut, soziale Ungerechtigkeit und ökologische Zerstörung sei mühsam, aber der einzig Erfolg versprechende Weg aus der Krise. Sicherheit sei nur über militärische Abrüstung zu erreichen.
Demonstration in Washington
«Zerstört den Imperialismus, nicht Afghanistan», stand auf einem Spruchband, das Demonstranten trugen in Washington hochhielten. Dort gingen etwa 2000 Menschen auf die Straße. Die meisten Teilnehmer der Kundgebung trugen Schwarz und verbargen ihre Gesichter hinter Tüchern und Schweißbrillen. Polizisten einer Anti-Aufruhr-Einheit begleiteten den Demonstrationszug.
«Wir wollen zeigen, dass die Außenpolitik der USA zu diesen Anschlägen (in New York und Washington) beigetragen hat», sagte ein 27-jähriger Landwirt aus Massachusetts. Eine 19-jährige Studentin meinte, statt militärischer Vergeltung sei die «Lösung», für die internationale Justiz zu arbeiten. «Wir müssen alle uns zur Verfügung stehenen demokratischen Mittel nutzen.»
Krieg bedeutet neues Leid
Auf
Spruchbändern forderten Demonstranten, die Verantwortlichen für die Anschläge
vom 11. September «aufzuspüren» und vor Gericht zu stellen, ohne mit einem
Krieg neues Leid zu verursachen. Sprecher verschiedener Organisationen
kritisierten die Zusage der Bundesregierung, den USA «uneingeschränkte Unterstützung»
zu gewähren, und bezeichneten das Versprechen als einen «Blankoscheck». In
Afghanistan seien Millionen Menschen auf der Flucht.
Größte Veranstaltung in Zürich
In Zürich nahmen nach Angaben der Veranstalter 3000 Menschen am Freitagabend an einer nationalen Friedenskundgebung teil. Bei der Kundgebung wurde auch der Amoklauf im Zuger Kantonsparlament mit einbezogen, bei dem 15 Menschen starben. Als Symbol für den Frieden ließen die Veranstalter 50 weiße Tauben frei. (nz)
Stuttgarter Zeitung vom 3.9.2001
Vaihinger Verkehr bereitet SSB Sorgen
Die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) betrachtet die wachsenden Verkehrsmengen in der Vaihinger Hauptstraße mit Sorge. Dies geht aus einer Stellungnahme des städtischen Verkehrsunternehmens gegenüber der SPD-Ratsfraktion hervor. Nach Angaben der SSB gibt es morgens zwischen 9:30 und 11:30 Uhr "stadteinwärts wieder Rückstaus zwischen Krehl- und Seerosenstraße zu beobachten." Abends zwischen 16.30 und 19 Uhr seien die Staus "stadtauswärts zwischen dem Schillerplatz und der Seerosenstraße zu beobachten." Wegen dieser Staus könne der SSB-Linienbusverkehr nicht pünktlich abgewickelt werden, so die Straßenbahn in ihrer Stellungnahme. Mit jeder weiteren Zunahme des Autoverkehrs verschärfe sich diese Situation. Dabei werde es nicht ausreichen, die Busse an den Ampeln in Vaihingen zu bevorrechtigen, um einen flüssigen Betrieb zu erreichen.
Deshalb fordert die SSB den Gemeinderat dazu auf, "die seither mit Inbetriebnahme der Ostumfahrung geplanten Busfahrstreifen zwischen Heerstraße und Robert-Koch-Straße einzurichten und dort auf Baumpflanzungen zu verzichten. Im übrigen lehnt die SSB eine Stadtbahnverbindung zwischen Vaihinger Bahnhof und Hauptstraße als "ziemlich utopisch" ab, der notwendige Tunnelbau wäre zu teuer. (tom)
Kommentar
(junge Welt) |
13.09.2001 |
USA under attack |
Der Krieg kehrt ins Zentrum der Macht zurück |
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Zum ersten Mal in der Geschichte des US- Nachrichtensenders CNN mußten dessen Reporter melden: »USA under Attack.« Die CNN-Kriegsberichterstatter waren Jahrzehnte andere Ländernamen gewohnt: Kambodscha, Laos, Vietnam, Kuba, Chile, Panama, Grenada, Irak, Serbien »under Attack« - der USA. Es scheint so, als sei der Krieg aus der ausgeplünderten Peripherie in das Zentrum der Macht zurückgekehrt. »Das ist eine Kriegserklärung an die zivilisierte Welt« verkündete Bundeskanzler Schröder sogleich - eine Arroganz, die von zwei Dritteln der Menschheit als purer Rassismus empfunden werden muß. Niemand kann sich über den Tod Tausender unschuldiger Menschen freuen, auch nicht klammheimlich. Traurig machen die Toten in den USA, ebenso traurig und zornig wie die zwei Millionen Toten in Vietnam oder die eineinhalb Millionen Toten im Irak, die in Folge der Blockadepolitik der USA elendig sterben mußten. Aber auch diese Toten sind real. Auch um sie haben Mütter und Väter getrauert. Unklar ist gegenwärtig noch, wer für die Angriffe auf das ökonomischen und militärische Herz der USA verantwortlich ist. Zu befürchten ist aber, daß die USA nun zum »Big Stick« greifen und zuschlagen werden. Mit aller militärischen Wucht zuschlagen und erst hinterher fragen, ob man überhaupt den »richtigen« bestraft hat - auch das ist seit Jahrzehnten US-amerikanische Außenpolitik. Und »Schurkenstaaten« gibt es ja genug. Die Konsequenzen, die sich für den Weltfrieden aus dieser US-Politik ergeben, sind gegenwärtig noch nicht absehbar. Die Politik der Härte, der Stärke und Vergeltung ist mit den Angriffen in den USA selbst obsolet geworden. Die imperialistische Führungsmacht ist verwundbar. Keiner der omnipotenten US-Geheimdienste konnte das verhindern und wird es auch in Zukunft nicht verhindern können. Die zahlreichen kriegerischen Konflikte in der Welt, in denen die USA aus ökonomische Interessen militärisch involviert sind, müssen befriedet werden. Und zwar auf dem Verhandlungsweg. Ganz oben steht der Krieg im Nahen Osten. Israel und die Schutzmacht USA müssen an den Verhandlungstisch. Es muß über einen gerechten Frieden für die gesamten Region verhandelt werden, bei dem die Rechte der Palästinenser ebenso berücksichtigt werden müssen wie das Existenzrecht Israels. Verhandeln oder Barbarei - das sind die Alternativen. Till Meyer |
junge welt 11.6.01
Der große Beschiß
Heute wird in Berlin der Atomkonsens unterschrieben.
Von Reimar Paul
Mit fast einjähriger Verzögerung werden Bundeskanzler Gerhard
Schröder und vier Vertreter der Energiekonzerne am heutigen
Montag in Berlin den sogenannten Atomkonsens unterschreiben. Das
am 14. Juni 2000 vorgestellte Papier war zunächst nur
abgezeichnet worden. Die Stromwirtschaft hatte mit der
Ratifizierung gezögert, weil sie die Regierungsnovelle zum
Atomgesetz abwarten wollte.
Skeptisch hinsichtlich der Ausstiegsgespräche zwischen SPD-Grünen-
Regierung und Energiemultis waren Umweltverbände und
Antiatominitiativen von Beginn an gewesen. Mit der Parole
»Konsens ist Nonsens« hatten sie die sich über anderthalb Jahre
dahinschleppenden Verhandlungen begleitet und statt dessen ein
zügiges Ende der Atomkraftnutzung per Dekret gefordert.
Nach Bekanntwerden des Vertragstextes war die Kritik blankem
Entsetzen gewichen. »Unsere schlimmsten Befürchtungen sind noch
weit übertroffen worden«, sagte Jochen Stay. Die
Atomkraftwerksbetreiber, meinte der Sprecher der Kampagne »x-
tausendmal quer«, hatten »noch nie so ideale Rahmenbedingungen
wie jetzt«. Greenpeace schlug in dieselbe Kerbe. »Das
Konsenspapier übertrifft alle bisherigen Zugeständnisse an die
Betreiber«, urteilte die Energie-Expertin der Organisation,
Susanne Ochse.
Tatsächlich hat der erzielte Konsens auch bei wohlwollendster
Betrachtung mit dem im Koalitionsvertrag versprochenen
Atomausstieg nicht viel zu tun. Statt der von den Grünen noch als
»äußerste Schmerzgrenze« angebotenen 30 Jahre dürfen die
Atomkraftwerke im Durchschnitt mindestens 32, nach Greenpeace-
Schätzungen sogar bis zu 35 Jahre am Netz bleiben und dabei
weitere 7 000 Tonnen hochradioaktiven Atomschrott produzieren.
Ihren Rückzieher in der zentralen Frage der Reaktorlaufzeiten hat
die Regierung durch die Umrechnung der Betriebsdauer in
Reststrommengen nicht kaschieren können. Die den Konzernen
zugestandenen rund 2 623,3 Terawattstunden (eine Terawattstunde
gleich eine Million Kilowattstunden) Atomreststrom entsprechen
ziemlich genau der Strommenge, die bislang von den 19 deutschen
AKW geliefert wurde. Weil die Betreiber die ausgehandelten
Kontingente zudem von älteren auf neuere Anlagen übertragen
dürfen, steht in den Sternen, wann der letzte Meiler vom Netz
geht. Ein Datum wurde in dem Abkommen ausdrücklich nicht
vereinbart. Die profitabelsten Kraftwerke können so ohne weiteres
noch bis 2020 oder 2025 laufen.
Obendrein hat die Regierung dem Atomkraftwerkspark eine Art
amtlichen Bestandsschutz gewährt. Weil sich die Stromwirtschaft
überhaupt auf eine Befristung des Reaktorbetriebs eingelassen und
den »Primat der Politik anerkannt« hat, soll im Gegenzug »für die
verbleibende Nutzungsdauer der ungestörte Betrieb der
Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden«.
Die Bundesregierung verpflichtet sich dabei, die
Sicherheitsanforderungen nicht zu verschärfen, und sie wird auch
»keine Maßnahmen ergreifen, mit der die Nutzung der Kernenergie
durch einseitige Maßnahmen diskreditiert wird. Dies gilt auch für
das Steuerrecht«. Eine Besteuerung von Kernbrennstoffen, wie sie
in der Vergangenheit insbesondere SPD-Umweltpolitiker zwecks
fiskalischer Gleichstellung etwa mit Kohle, Öl oder Gas gefordert
hatten, ist damit endgültig vom Tisch.
Atomkraftwerke sind auch in Zukunft nicht wesentlich besser
versichert als bislang. Zwar wird die Haftpflicht-
Deckungsvorsorge für schwere Störfälle von 500 Millionen auf fünf
Milliarden Mark erhöht. Doch auch das bleibt ein Tropfen auf den
heißen Stein, denn damit sind zukünftig statt 0,01 Prozent nun
etwa 0,1 Prozent der bei einem großen Unfall zu erwartenden
Schäden abgedeckt. Für die einzelnen Betreiber bedeutet die
höhere Versicherungssumme keine wirtschaftliche Belastung, weil
sie sich zu einem Versicherungspool zusammenschließen und
gegenseitig füreinander haften.
Bei der Atommüllentsorgung liest sich der Atomkonsens ebenfalls
wie von der Industrie diktiert. Anstatt konkrete Schritte für
eine dauerhafte Verwahrung insbesondere des hochradioaktiven
Mülls festzuklopfen und alle Kapazitäten auf die Suche nach einem
sicheren Endlager zu konzentrieren, verschieben Regierung und
Stromkonzerne das Problem auf spätere Manager- und
Politikergenerationen.
Ein Ende der ökologisch wie ökonomisch wahnwitzigen
Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente ist unabsehbar.
Hatte sich Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) in den
Anfangsmonaten der Koalition noch für ein sofortiges Verbot
dieser Technologie stark gemacht, erklärt er es nunmehr als
großen Erfolg, daß die Wiederaufarbeitung deutschen Atommülls in
La Hague und Sellafield im Jahr 2005 beendet werden soll. Die
meisten Medien haben diese Sprachregelung übernommen. Dabei hat
die Atomindustrie lediglich zugestimmt, in jenem Jahr 2005 die
Transporte ins Ausland zu beenden. Im Atomkonsens heißt es:
»Angelieferte Mengen dürfen verwertet werden.« Aus La Hague
verlautete bereits, daß die Fabrik damit noch 15 Jahre
weiterarbeiten könne.
Einer wesentlichen Forderung der Atomindustrie, der Aufhebung des
Transportstopps, hatte sich Trittin schon Anfang des Jahres
gebeugt. Seit dem Rücktransport von Abfällen aus La Hague nach
Gorleben ist das Atommüllkarussell richtig auf Touren gekommen.
Begleitet von Protesten, rollen in diesen Wochen und Monaten von
fast allen AKW-Standorten Castoren nach Frankreich und England.
Mit den Transportgenehmigungen hat die Bundesregierung indes nur
die dringlichsten Entsorgungsnöte der Betreiber lindern können.
Um der Industrie auch über das Jahr 2005 hinaus zu dienen, wurde
im Atomkonsens die Errichtung dezentraler Zwischenlager
vereinbart. An den Reaktorstandorten sollen riesige Betonschuppen
entstehen, in denen die Brennelemente bis zu 40 Jahre lang
gelagert werden können. Die Genehmigungsverfahren für die Hallen
werden mit Hochdruck durchgezogen. Mit der Inbetriebnahme der
Zwischenlager ist bis spätestens 2005 zu rechnen. Bis dahin
dürfen die Konzerne obendrein »vorläufige Lagermöglichkeiten«
schaffen, Verfahren für den Bau sogenannter »Interimslager«
laufen bereits in Neckarwestheim und Philippsburg.
Im Koalitionsvertrag hieß es noch, an der Eignung des Salzstocks
Gorleben als Endlager für hochradioaktiven Atommüll bestünden
Zweifel. Die hat die Bundesregierung nun offenbar nicht mehr. Sie
hat die Erkundung des Salzstocks zwar für drei bis zehn Jahre
unterbrochen, doch ausschließlich »zur Klärung konzeptioneller
und sicherheitstechnischer Fragen«. Betont wird, daß man bei der
Untersuchung keinerlei Erkenntnisse gewonnen habe, daß Gorleben
nicht geeignet sein könnte. »Das Moratorium bedeutet keine
Aufgabe von Gorleben als Standort für ein Endlager«, erklärte die
Regierung.
Auch die angekündigte Genehmigung des Endlagers Schacht Konrad
für schwach- und mittelradioaktive Abfälle ist ein klarer Bruch
der im Koalitionsvertrag abgegebenen Versprechen. Der Bund nimmt
lediglich den Antrag auf sofortige Vollziehbarkeit des
Planfeststellungsbeschlusses zurück und gibt die Verantwortung,
ob es tatsächlich zu einer Einlagerung kommt, an die Gerichte
weiter.
Noch am Wochenende bemühten sich ranghohe Vertreter der
Koalition, den Konsens als wesentlichen Schritt zur Beendigung
der Atomkraft zu verteidigen. Insbesondere Trittin wurde nicht
müde, die Vereinbarung als endgültigen Ausstieg aus der
Atomenergie zu verkaufen. Gleichzeitig ließen CDU und CSU wissen,
sie würden im Falle eines Wahlsiegs im kommenden Jahr den
Ausstieg rückgängig machen. Die Industrie hält den Ausstieg auch
nicht unbedingt für endgültig, ist aber zufrieden. Dazu e.on-
Manager Otto Majewski: »Unser erklärtes Ziel, die deutschen
Kernkraftwerke zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen
weiterhin nutzen zu können, haben wir erreicht. Die rot-grüne
Bundesregierung wäre durchaus in der Lage gewesen, den Bestand
und Betrieb der Kernkraftwerke nachhaltig zu beeinträchtigen«.
taz 9.4.01
Grün ist der Polizeistaat
Der Atomkonsens wird von der Bevölkerung nicht akzeptiert. Das
beweisen die Castor-Proteste im Wendland und jetzt wieder in
Philippsburg. Die Grünen verlieren ihre Wähler
Wenn die Grünen tatsächlich vorhaben, den Castor-Protest
auszusitzen, könnte das ihr Untergang werden. Denn die
unüberhörbare Botschaft aus Gorleben lautet: Ein Atomkonsens ohne
Bevölkerung ist keiner. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Oswald
Metzger brachte dieses Dilemma auf den Punkt. Er kommentierte die
Entscheidung von Claudia Roth und Fritz Kuhn, nicht zu den Castor-
BlockiererInnen im Wendland zu fahren: "Mit diesen Leuten können
Sie als Regierungspartei, die einen Atomkonsens auf eine längere
Frist von nahezu 20 Jahren beschlossen hat, nicht mehr
diskutieren."
Danke, Herr Metzger, das wars. Lauter und hässlicher kann man das
Tischtuch nicht zerreißen oder vielmehr den letzten Fetzen, der
Regierungsgrüne und AtomgegnerInnen noch verband. Der kleine
dumme Umstand für die Grünen in Amt und Anzug ist nur, dass der
Konflikt in Gorleben nicht irgendeiner ist. Es geht nicht um
Schnürsenkel. Oder um biogasbetriebene Wischwaschanlagen. Es geht
immerhin um Atomenergie und die von ihr in Gang gesetzte
gesellschaftliche Kettenreaktion.
Dabei hat die verzweifelte Opposition gegen eine
Energiewirtschaft, die die Zukunft für die Gegenwart verheizt,
Gründung und Aufstieg der grünen Partei überhaupt erst möglich
gemacht. Ausgerechnet in Niedersachsen stand die Wiege der
Grünen: Dort wurde die erste grüne Wahlvereinigung gegründet,
1979 begrüßten dort 100.000 AtomgegnerInnen den Treck der
wendländischen Bauern in Hannover. Jahre und Jahrzehnte lang hat
dieser antinukleare Kampf den Kern der grünen Identität
ausgemacht. Die Grünen wurden gewählt, weil sie in den Augen
ihrer AnhängerInnen "unsere Leute" waren - die Bindung zwischen
WählerInnen und Gewählten war viel stärker als bei allen anderen
Parteien.
Damit ist es nicht nur im Wendland aus und vorbei. Es ist
uninteressant, ob man, wie Warnfried Dettling neulich an dieser
Stelle, "Verrat" in der Politik für eine untaugliche Kategorie
hält: Wenn es die Menschen so empfinden, dann wird diese
Kategorie zur emotionalen Wirklichkeit. Lediglich ein Wall von
Mikrofonen und Kameras schützte die Greengirls Kerstin Müller und
Claudia Roth vor den aufgebrachten LandwirtInnen kurz vor der
Ankunft der Castoren. AtomgegnerInnen machten sich einen Spaß
daraus, mit Trittin- und Fischer-Masken vermummt auf den Gleisen
herumzuturnen. Im gesamten Landkreis gibt es kaum mehr grüne
Parteimitglieder, selbst Gründungsmitglieder wie die frühere BI-
Vorsitzende Marianne Fritzen sind längst ausgetreten. Die
Einzige, die noch Ansehen genießt, ist die Fraktionschefin der
niedersächsischen Grünen, die tapfere Rebecca Harms, die sich von
Parteioberen nie den Mund hat verbieten lassen.
Mit jedem weiteren durchgeprügelten Castor werden die Grünen im
Wendland und in ganz Deutschland weitere Wählerstimmen verlieren
und keinen einzigen neuen Wähler hinzugewinnen. Und da behauptet
Matthias Urbach kürzlich auf dieser Seite, dass in Gorleben "so
etwas wie ein grüner Stammtisch" versammelt sei, der von den
Grünen nur "gepflegt" werden müsse, wie das die CSU mit ihrer
Klientel auch täte. Dieser Vorschlag hat es faustdick grün hinter
den Ohren.
Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass das Wendland zu
befrieden wäre. Beim letzten Mal hielt die Straßenblockade gegen
die Castoren sieben Stunden, dieses Mal zwang Robin Wood mit dem
großartigsten aller Coups den Castor-Zug zur Umkehr, nächstes Mal
und übernächstes Mal und überübernächstes Mal wird es unter
Garantie wieder eine Überraschung geben. Die Zahl der beteiligten
DemonstrantInnen mag schwanken, das hat sie immer getan, aber 24
Jahre antiatomarer Kampf voller Kreavität und Fantasie haben den
Widerstand ins Wendland fest einbetoniert. Eine gemeinsame
Presseerklärung von BUND, Robin Wood, Greenpeace und X-tausendmal
quer brachte die Sache auf den Punkt: Der so genannte Atomkonsens
"ist kein Konsens mit der Bevölkerung". Was auch die derzeitigen
Proteste gegen den am Dienstag beginnenden Transport von Atommüll
aus deutschen Kraftwerken ins französische La Hague wieder einmal
beweisen.
Solche Bilder werden uns leider noch einige Jahre begleiten: Denn
nach den im Juni 2000 zwischen rot-grüner Bundesregierung und
Energiewirtschaft getroffenen Vereinbarungen dürfen die
Atommeiler 32 Jahre weiterlaufen. Zudem ist die
Wiederaufbereitung und damit die Verzehnfachung des Atommülls
mindestens bis 2005 erlaubt, und ein Endlager Gorleben samt
Konditionierungsanlage wird nicht ausgeschlossen.
Sie hätten ihr Ziel erreicht, freute sich damals Otto Majewski
von den Bayernwerken: "Die rot-grüne Bundesregierung wäre
durchaus in der Lage gewesen, den Bestand und den Betrieb der
deutschen Kernkraftwerke nachhaltig zu beeinträchtigen." Nur in
einer Hinsicht unterlief den Atombossen ein Fehler: Der von Rot-
Grün auf die Reise geschickte Atommüll stieß keineswegs auf mehr
Akzeptanz bei den Bürgern als vorher.
Und das, obwohl das grüne Bundesumweltministerium ein ums andere
Mal behauptete, hier ginge es um die völkerrechtlich verbindlich
vorgeschriebene Rücknahme des deutschen Mülls aus La Hague. Das
aber ist nur die halbe Wahrheit: Die Atomtransporte nach Gorleben
schaffen in La Hague Platz für weitere Brennelemente aus
deutschen Atomkraftwerken, sodass die Wiederaufbereitung in ihrer
ganzen Gefährlichkeit fortgesetzt werden kann - und der Betrieb
der Meiler ebenfalls. Im Gegensatz zu ihrem deutschen
Amtskollegen Trittin erklärte sich die französische
Umweltministerin Dominique Voynet deshalb mit den
CastorblockiererInnen solidarisch und beglückwünschte die
WendländerInnen "zu ihrer unglaublichen Mobilisierungskraft".
Weder in La Hague noch in Lüchow-Dannenberg, so die Chefin der
französischen Grünen, akzeptiere die Bevölkerung die Abladeplätze
für Atommüll.
Und dennoch bemühen sich fast alle deutschen Grünen reflexartig
zu versichern, sie hätten nicht vor, den Atomkonsens neu zu
verhandeln. Aber was ist mit einem Vertrag, der politisch nicht
durchsetzbar ist? Er ist Makulatur. Reif fürs Altpapier.
Zumindest der Teil des nuklearen Szenarios, der Atomtransporte,
Zwischenlager und Endlager umschließt, ist definitiv nicht
durchsetzbar. Das sagt nicht nur Rebecca Harms, das sagen auch
Polizeisprecher sowie der niedersächsische Ministerpräsident
Sigmar Gabriel und andere hohe Sozialdemokraten. Sie alle wissen:
Noch so ein Einsatz, dann meutert womöglich auch noch die
Polizei.
166 Castor-Transporte aus La Hague und Sellafield bis 2010 - das
kostet Milliarden, das wird finanziell und politisch
unerträglich. Doch die grünen MinisterInnen und Abgeordneten
schweigen eisern. Es ist schier unglaublich. Kein Wunder, dass
die Lüchow-DannenbergerInnen verbittert behaupten: Grün ist der
Polizeistaat. UTE SCHEUB