VorOrt Nr.30, Oktober 2004
(Auflage 13 000)

Zeitung für das andere Vaihingen

 


Der Schwabenplatz erfüllt alle negativen Erwartungen voll
Vaihingens Neue Mitte: Kein Ort zum Verweilen

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Nun haben die Vaihinger, was sie nach Meinung eines Immobilien-Dealers und seines Ende des Jahres aus dem Amt scheidenden Posaunisten im Bezirksrathaus schon immer wollten: einen Einkaufstempel aus Beton und Glas mit pflegeleichtem und gut bewachtem steinernem Platz, der die architektonischen Fehler des Vaihinger Marktes deutlich übertrifft statt korrigiert. Und niemand ist richtig glücklich damit. Schon beginnen die ersten der kleineren Geschäfte unter der Last horrender Ladenmieten und hoher Anfangsinvestitionen über zu geringe Umsätze zu klagen.

„Die Schwaben-Galerie wird in jedem Fall ein Ort, an dem man sich gerne aufhält." (R. Häussler 2001 in der Vaihinger Rundschau).
Ein dreiviertel Jahr später als geplant und dann doch bevor alles fertig war aber lange nachdem Häussler das ganze bereits mit Gewinn weiterverkauft hat, wurde die Schwaben-Galerie jetzt eröffnet. Ein Ort, an dem man sich gerne aufhält, ist es nach dem Empfinden vieler Vaihinger nun wahrlich nicht geworden. Eher sind kalte Einkaufsschluchten das Prägende, die man auf dem Weg zu den großen Billiganbietern möglichst schnell hinter sich lässt. Der Schwaben-Platz als einziger wirklich öffentlicher Raum mit dem keine Mieteinnahmen zu erzielen sind, ist im Laufe der Realisierung zu einem steinernen Plätzchen verkommen, das den immer wieder wegen seiner kargen Bepflanzung kritisierten Vaihinger Markt als grüne Idylle erscheinen lässt.
Unter der geringen Aufenthaltsqualität leiden vor allem kleinere Anbieter, die auf Kundschaft angewiesen sind, die nicht gezielt kommt, sondern etwas mitnimmt, weil sie gerade da ist. Ihre Lage ist nicht besser als die der kleinen Fachgeschäfte im „alten" Vaihingen, die inzwischen schon froh darüber sind, dass sie sich von den hohen Miet- und Investitionskosten von einem Umzug in die Galerie, in der sie ohnehin nie wirklich erwünscht waren, haben abhalten lassen.
Möglicherweise wird das Ladensterben, das bereits eine deutliche Verschlechterung der wohnortnahen Versorgung mit sich brachte, bald auch in der Schwaben-Galerie selbst seine Fortsetzung finden. Wie prophezeite uns doch erst kürzlich Rudi, der Fleißige: In der Marktwirtschaft können die Kleinen sowieso nur im Schatten der Großen überleben. Sie müssen sich halt ein bißchen mehr anstrengen.

 

 

Mensch Köhler
von Gerhard Wick

Angesichts der anhaltend aufgeregten Reaktionen der Berliner Marktwirtschafts-Ideologen darf man vermuten: Es muß eine Art Super-Gau für sie gewesen sein, als kein „linker Spinner", sondern einer der Ihren die Realität ihres maroden Wirtschaftssystem ohne Verklärung benannte.

Wenn der Bundespräsident, ein Mann der Wirtschaft dazu, im Focus erklärt, dass die großen Unterschiede der Lebensverhältnisse zwischen Nord und Süd, Ost und West der Republik auf Dauer nicht auszugleichen seien, weil der Staat kein Geld mehr habe, um sie weg zu subventionieren, dann ist das keine große Neuigkeit. Es beschreibt einfach nur die Realität des kapitalistischen Systems in seinem Endstadium, wo die Marktwirtschaft zwangsweise nicht mehr sozial, sondern nur noch frei sein kann.
Doch genau damit hat der Mann einen Tabubruch begangen. Er hat die oberste Pflicht der politischen Dienstboten des Großkapitals nicht erfüllt, die da lautet: Erhalte dem Volk die Illusion, es lebe im besten aller möglichen Wirtschaftssysteme. Alles was hier schief läuft, darf an allem liegen, nur nicht an der heiligen Kuh Kapitalismus.

 

 

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An jeder Ecke der Schwaben-Galerie in großen Lettern der Name Häussler. Viele empfinden soviel Personenkult eher als peinlich. Vor allem das Bürgerzentrum müsse nicht auch noch diesen Namen tragen, zumal es von der Stadt bezahlt und vom Erbauer bereits weiterverkauft worden sei.
Ein VorOrt-Leser ist da anderer Meinung: Es könne gar nicht genug herausgehoben werden, wer die Verantwortung für die „neue Mitte" trage. Und es müsse auch deutlich werden, wer immer noch das Märchen vom großzügigen Spender Häussler verbreitet. Deshalb hier sein Vorschlag zur Außengestaltung des Bürger-Forums.   (auf das Foto klicken, um es zu vergrößern)

 

 

Fildermesse: Enteignungen zum Wohle der Wirtschaft
Ackerland wird betoniert

„Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig". So bestimmt es in Artikel 14 das Grundgesetz.
Zum Wohle der Wirtschaft wird den Filderbauern ihr Ackerland weggenommen, um darauf eine neue Messe zu errichten, wofür die Allgemeinheit mindestens 1 Mrd. Euro aufbringen darf. So bestimmt es des Teufels Regierung.

Nun ist die BRD aber ein Rechtsstaat. Und deshalb hat jeder von Enteignung Betroffene das Recht, für einige zehntausend Euro gerichtlich und gegebenenfalls auch verfassungsgerichtlich prüfen zu lassen, ob die beabsichtigte Enteignung denn in Einklang stehe mit dem Grundgesetz. Und weil, wie immer wieder betont, in dieser Rechts- und Gesellschaftsordnung das Privateigentum einen ganz besonderen Schutz genießt, rechneten sich die Schutzgemeinschaft Filder und die betroffenen Bauern gute Chancen aus, die Vernichtung wertvollsten Ackerlandes durch eine in ihrem Nutzen mehr als fragwürdige neue Landesmesse auf dem Rechtsweg verhindern zu können. Das „Kleingedruckte" der freiheitlich demokratischen Grundordnung müssen sie dabei allerdings übersehen haben. Erstens gilt beim Schutz des Eigentums offensichtlich auch der Grundsatz: je mehr Eigentum desto mehr Schutz. Und zweitens: wer mehr Geld hat, hat auch mehr Macht und wer die Macht hat, braucht sich um das Recht nicht so viele Gedanken machen.
Also schlechte Karten für die Filderschützer gegenüber Bauunternehmen und Wirtschaftsverbänden.
So wurde den Bauern nun auch der Rechtsweg von der im Auftrag der Wirtschaft agierenden Landesregierung einfach mittels legaler Erpressung abgekauft. Nur wenn alle Bauern auf eine Klage verzichteten, sollten sie 53 Euro pro m2 Bauland erhalten, ansonsten nur eine Entschädigung von 20 Euro. Wer will es den Landwirten verdenken, wenn sie hier angesichts eines äußerst ungewissen Ausgangs der Verfassungsprüfung und des bereits gerichtlich bestätigten Sofortvollzugs der Bauarbeiten das Geld nahmen und ihren Widerstand aufgaben.
Beim Anblick zerstörter Felder fragen sich nun allerdings manche, die sich in der Schutzgemeinschaft-Filder über Jahre hinweg gegen die Messe engagiert haben, ob es richtig war, den Widerstand gegen die Betonierung eines der fruchtbarsten landwirtschaftlichen Gebiete der Republik allein auf die Klärung der Rechtmässigkeit des beabsichtigten Zerstörungswerks zu beschränken.
Und was mag wohl jene Bauern nun umtreiben, denen das an die Wand gemalte Schreckgespenst kommunistischerEnteignung immer Grund genug war, treu zur kapitalistischen Ordnung zu stehen, angesichts der ihnen nun widerfahrenen Enteignung im freiheitlich bürgerlichen Rechtsstaat?
Ausführliche Informationen auf: www.schutzgemeinschaft- filder.de und
www.widerstand-boykott.de/luegenundmachenschaften/

 

 

US-Export

 

 

Sie wollen alle sowieso nur das Beste
Wozu Oberbürgermeister ?

Alle wollen sie nur das Eine: Stuttgarts „Wirtschaftskraft stärken und die Finanzkraft erhalten"(Palmer), es „zur stärksten Wirtschaftsregion Europas machen" (Kumpf) und dafür sorgen, dass „in Stuttgart ein gesundes Wirtschafts- und Investitionsklima herrscht" (Schuster). Im übrigen soll alles so gut bleiben wie es ist oder gar noch besser werden. Außerdem finden sie es alle ganz prima, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich, also unentgeltlich, betätigen und nicht immer nur haben wollen.

Dass die Kandidatin und Kandidaten, die auf ihren Wahlplakaten die Parteien, denen sie angehören schon gar nicht mehr zu nennen wagen, so übereinstimmend das Beste für Stuttgarts Bürger versprechen können, mag daran liegen, dass über all diese Dinge ein Oberbürgermeister gar nicht zu entscheiden hat. Die Entscheidungen trifft der Gemeinderat. Zwar kann der Oberbürgermeister als oberster Chef der Verwaltung schon im Vorfeld der Entscheidungen mit den Vertretern der Wirtschaft kungeln, wie es der jetzige gerne tut, und dem Gemeinderat dann entsprechend präparierte Vorlagen auf den Tisch bringen. Was aber auch nur funktioniert, wenn die Gemeinderäte ohnehin über Ausreden froh sind, warum sie wieder einmal gegen die Interessen der Mehrheit entscheiden mussten. Eine vorausschauende, soziale und umweltgerechte Politik wird mit diesem Gemeinderat keiner der Kandidaten umsetzen können, selbst wenn er wollte.
Für die große Mehrheit der Stuttgarter/innen wird es daher keinerlei Unterschied machen, wer gewählt wird. Die Wahlentscheidung kann deshalb getrost danach getroffen werden, welchem der Kandidaten man die Oberbürgermeisterbezüge nebst Aufsichtsratsvergütungen zukommen lassen will. Man kann sich die Wahl aber auch ebenso sparen, wie man sich einen Oberbürgermeister sparen könnte.

Ihr versteht, ich meine
dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine !
Bertolt Brecht in: Die Ballade vom Wasserrad

 

 

Engelszunge:

Aus unserer Reihe „Das neue Grundgesetz":

Artikel 14,1: Eigentum verpflichtet
Artikel 14,2: zu nichts

 

 

Trotz Protesten: Grüne, SPD, CDU und FDP bleiben dabei
Das Leben wird Hartz

Die Protestbewegung gegen die Agenda 2010 und Hartz IV des unsozialen sozialdemokratischen Kanzlers und seiner grünen Freunde wollte schon aufatmen. Die CDU hatte den Vorwurf erhoben und die Regierung hat es eingestanden: Bei Hartz IV wurden Fehler gemacht. Nämlich, das Ganze wurde dem Volk nicht richtig erklärt. Deshalb mussten die Leute meinen, dass es schlecht für sie sei, wenn sie weniger Geld bekommen, für einen Hungerlohn jede Arbeit annehmen und dafür womöglich auch noch umziehen müssen.

Dabei haben sie sich redlich bemüht, bei Frau Christiansen und anderswo, ihre Nebelkerzen zu zünden und den Sozialabbau als Rettung des Sozialstaats zu verkaufen.
Es ist aber auch wirklich nicht einfach. Wie erklärt man die Notwendigkeit eines weiteren massiven Abbaus des Lebensstandards von Millionen Menschen bei gleichzeitigen Steuererleichterungen für Großkonzerne, die Milliardengewinnen machen, ohne dass jemand auf die Idee kommen könnte, das Wirtschaftssystem tauge nichts mehr? Die Losung „Alle müssen Opfer bringen", haut nicht mehr hin, weil die Leute dann fragen wofür.

Man hat es damit versucht, Hartz IV mit seinen rigiden Zumutbarkeitsregelungen, wonach jede Arbeit zu jedem noch so geringen Lohn angenommen werden muß, als Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu verkaufen. Nun sind die allermeisten Arbeitslosen aber nicht arbeitslos, weil sie nicht arbeiten wollen, sondern weil die Wirtschaft sie nicht braucht. Schwierig, sie zu zwingen, Arbeit anzunehmen, die es gar nicht gibt.
Neuer Anlauf, mehr auf die Mitleidstour: Der Staat hat einfach nicht mehr das Geld, um Sozialleistungen im bisherigen Umfang zu finanzieren, wenn auch für unsere Kinder noch was übrig sein soll. Jetzt darf bloß keiner fragen, warum der Staat kein Geld mehr hat. Wenn doch, können wir zur Not noch anführen, dass es der Wirtschaft schlecht geht und der Staat sie entlasten muss, damit sie mehr investiert und Arbeitsplätze schafft. Hoffentlich merkt's keiner: Die Konzerne haben in den letzten Jahren hauptsächlich in Automatisierung und Rationalisierung, also in die Vernichtung von Arbeitsplätzen investiert.
Die Arbeitslosigkeit ist eben nicht die Folge einer falschen Politik, sondern entspringt direkt den inneren Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. In den letzten 10 Jahren hat sich die Produktivität im produzierenden Gewerbe um 75% erhöht. Will heißen, dass heute durch weniger Produzenten in derselben Zeit mehr Werte produziert werden. Es gibt zwei Möglichkeiten, mit dieser an sich positiven Entwicklung umzugehen. Eine vernünftige, die allen nützt und eine unvernünftige: Da in weniger Zeit dieselben Werte produziert werden, müssen alle Produzenten weniger oder zumindest kürzer für dasselbe Geld arbeiten. Die andere: Der nicht mehr benötigte Teil der Produzenten wird entlassen und der Staat muß für seinen Lebensunterhalt aufkommen, wozu er auf Dauer aber nicht in der Lage ist. Die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft lässt leider nur den zweiten, unvernünftigen Weg zu. Wer, wie nahezu alle der hier maßgeblichen Politiker, so tut als brauche es nur eine andere Politik um die Arbeitslosenzahlen auch nur nennenswert zu senken, ohne die kapitalistische Produktionsweise in Frage zu stellen, muß wohl in ein Dilemma geraten.

 

 

Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus

Gothama, der Buddha, lehrte
Die Lehre vom Rade der Gier, auf das wir geflochten sind, und empfahl
Alle Begierde abzutun und so
Wunschlos einzugehen ins Nichts, das er Nirwana nannte.
Da fragten ihn eines Tags seine Schüler:
Wie ist dies Nichts, Meister? Wir alle möchten
Abtun alle Begierde, wie du empfiehlst, aber sage uns
Ob dies Nichts, in das wir dann eingehen
Etwa so ist wie dies Einssein mit allem Geschaffenen
Wenn man im Wasser liegt, leichten Körpers, im Mittag
Ohne Gedanken fast, faul im Wasser liegt oder in Schlaf fällt
Kaum noch wissend, daß man die Decke zurechtschiebt
Schnell versinkend, ob dies Nichts also
So ein fröhliches ist, ein gutes Nichts, oder ob dies dein
Nichts nur einfach ein Nichts ist, kalt, leer und bedeutungslos.
Lange schwieg der Buddha, dann sagte er lässig:
Keine Antwort ist auf euere Frage.
Aber am Abend, als sie gegangen waren
Saß der Buddha noch unter dem Brotbaum und sagte den andern
Denen, die nicht gefragt hatten, folgendes Gleichnis:
Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Am Dache
Leckte die Flamme. Ich ging hinzu und bemerkte
Daß noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief ihnen
Zu, daß Feuer im Dach sei, sie also auffordernd
Schnell hinauszugehen. Aber die Leute
Schienen nicht eilig. Einer fragte mich
Während ihm schon die Hitze die Braue versengte
Wie es draußen denn sei, ob es auch nicht regne
Ob nicht doch Wind gehe, ob da ein anderes Haus sei
Und noch so einiges. Ohne zu antworten
Ging ich wieder hinaus. Diese, dachte ich
Müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören. Wirklich, Freunde
Wem der Boden noch nicht so heiß ist, daß er ihn lieber
Mit jedem anderen vertauschte, als daß er da bliebe, dem
Habe ich nichts zu sagen. So Gothama, der Buddha.

Aber auch wir, nicht mehr beschäftigt mit der Kunst des Duldens
Eher beschäftigt mit der Kunst des Nichtduldens und vielerlei Vorschläge
Irdischer Art vorbringend und die Menschen lehrend
Ihre menschlichen Peiniger abzuschütteln, meinen, daß wir denen, die
Angesichts der heraufkommenden Bombenflugzeuggeschwader des Kapitals noch allzulang fragen
Wie wir uns dies dächten, wie wir uns das vorstellten
Und was aus ihren Sparbüchsen und Sonntagshosen werden soll nach der Umwälzung
Nicht viel zu sagen haben.

B.Brecht, 1938