Wenn der Senator erzählt .....
(wenn der "mein" sagt, dann meint der "mein")
Stuttgarter Nachrichten, Samstag 27. Juli 2002
Die Ruhe des Rosentals weiß Rudi Häusssler in Vaihingen besonders zu schätzen. Nur wenige Schritte entfernt entsteht die neue Ortsmitte. Das Modell zeigt, wie Häusslers Schwaben-Galerie Ende 2003 aussehen soll. (Fotos: Eppler/Häussler)
1954,
also vor bald 50 Jahren, bin ich nach Vaihingen gekommen. Meine Frau war hier
aufgewachsen, ihre Mutter stammte aus einem der ältesten Häuser des Orts. Wir
haben damals das Häusle in der Nähe des Freibads bezogen, in dem ich noch
heute wohne. Wenn Besuch kommt, gehe ich mit diesem im Rosental und im nahen
Wald spazieren. Wie oft sind wir früher über Rohr bis Böblingen oder
Sindelfingen durch den Wald gegangen! Wie oft bin ich besonders Samstagmorgens
mit dem Fahrrad rüber nach Möhringen ins Geschäft gefahren.
Vor zwölf Jahren, als meine Frau starb, habe ich ein paar Mal überlegt, ob ich
hier wegziehen sollte. Der Tod war ein so großer Einschnitt, da denkt man plötzlich
über vieles nach. Alle Stuttgarter schauen ja mal nach Degerloch oder auf den
Killesberg. Damals habe ich das auch getan. Aber ich bin in Vaihingen geblieben
und habe das alte Haus etwas modernisiert. Hier kann ich in Ruhe leben. Wenn man
so alte Wurzeln hat, verpflanzt man sich auch nicht mehr.
Vaihingen hat sich nach meiner Meinung, was die Arbeitsmöglichkeiten angeht,
von allen Stadtteilen am besten entwickelt. Ich selbst habe mit 21 Jahren im
Schlafzimmer meiner Eltern im Goldregenweg in Rohr meine erste Firma gegründet.
In dem Haus wohnt heute Rezzo Schlauch. Damals gab es noch viel Landwirtschaft,
und auch in den Steinbrüchen fand man Arbeit. Die Strickwarenfabrik Vollmoeller,
wo heute das Hotel Fontana steht, und die Brauerei Schwaben Bräu ("der
Leicht") waren die größten Firmen. Heute gibt es in Vaihingen das große
Gewerbegebiet am Wallgraben, es gibt IBM und weitere bekannte Firmen, den
Unteren Grund, und es gibt die Universität.
Die Arbeitsplätze sind aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen
ist Vaihingen leider etwas stehen geblieben. In den letzten Jahren haben viele
Firmen dichtgemacht, viele Läden geschlossen. Viel vom alten Charme ist
verloren gegangen. Das ging schleichend, das habe auch ich nicht sofort bemerkt,
was nicht erstaunlich ist, denn geschlafen und ausgeruht habe ich mich zwar
hier, aber geschafft habe ich ja auf der ganzen Welt, in Moskau, Riad, auf den
Philippinen.
Als nach dem Ende von Schwaben Bräu und der Vaihinger Fruchtsaft 1999 ein
Investor mit der Neuentwicklung des Areals in der Stadtmitte gescheitert ist,
habe ich mich herausgefordert gefühlt. Müssen wir denn alles nur in Moskau
oder Prag machen, habe ich mich gefragt? Vaihingen hat diese reizvolle Mischung
von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Hier leben 48 000 Menschen, das ist doch eine
richtig große Stadt!
Mit meinen Eltern bin ich gern in der Brauereigaststätte essen gegangen, die
wollte ich erhalten. Aber als ich mir das Areal angesehen habe, bin ich
erschrocken. Da war wirklich nichts zu erhalten, da war über zig Jahre nichts
investiert und renoviert worden. Ein einziger Schrotthaufen! Ich habe mich über
die Besitzer geärgert. So verabschiedet man sich nicht von seinen Eltern und
Großeltern.
Jetzt will ich mit meiner Firma in diesem früheren exterritorialen Gebiet eine
lebendige Mitte schaffen. Auf der einen Seite der Hauptstraße wird die
Schwaben-Galerie entstehen, zum Rosental hin bauen wir Wohnungen und das
Schulungszentrum für DaimlerChrysler. Dafür habe ich drei Jahre lang gekämpft.
Das wird einige tausend Arbeitsplätze bringen und Kaufkraft nach Vaihingen zurückholen.
Dieses ganze riesige Gelände wird keine verbotene Stadt mehr, sondern offen für
alle sein. Ich wünsche mir, dass meine Stiftung an die Vaihinger, das Häussler-Bürgerhaus,
von den Vereinen und Schulen genutzt wird. Bei allem Optimismus: Die neue Mitte
Vaihingens wird drei, vier, vielleicht auch fünf Jahre brauchen, um zu wachsen,
sich zu entwickeln. Aber ich war und bin optimistisch, dass das klappt. Ein
bisschen Glück darf immer dabei sein.
Aufgezeichnet von Konstantin Schwarz
Über die Beurteilung des aufzeichnenden "Journalisten" sind wir uns noch nicht ganz im klaren: Volltrottel oder Vollblut-Satiriker
VorOrt-Leser Guido Schönleber ist nach der Lektüre folgendes eingefallen:
Puh. Soeben
das Ende eines dreieinhalbstündigen Bauernepos hinter mich gebracht ! Ein
böser Graf im Frankreich des 19. Jahrhunderts hat sein verdientes Schicksal
hinnehmen müssen: man hat ihn, der das Volk ausgeplündert und terrorisiert
hat, der Justiz übergeben.
Vor mir liegt derweil die Ausgabe der Stuttgarter Nachrichten vom 27. Juli.
Wieder einmal lächelt Senator Rudi Häussler sein honoriges Lächeln und
erzählt eine rührselige Lebensgeschichte. Überschrift: "Mein
Vaihingen". So sprach auch der verehrte Graf von Nansac: meine Pächter,
mein Land, mein Recht. Schließlich hat man den Grafen verjagt. Er hatte keine
Zeit mehr zu überlegen. Der Senator hat nach seiner Aussage ein paar Mal
überlegt, ob er aus Vaihingen wegziehen sollte, auf den Killesberg oder nach
Degerloch. Warum hat er's nicht getan ? Seine Vaihinger würden ihn ebenso wenig
vermissen wie die Bauern ihren falschen Grafen.
Ach, wie oft ist der Senator nach Möhringen geradelt! Ach, wie oft bin ich mit
dem Schlitten über den Feldrand gelaufen! Ach, wie oft habe ich am Feldrand
Drachen steigen lassen! Ach, wie oft habe ich am Feldrand Fussball gespielt!
Ach, wie oft war ich im Ochsen zu Gast! Die Zeiten sind passé: alles zugebaut
und abgerissen. Der Ochsen musste weg, war er doch laut Häussler "ein
Schrotthaufen in exterritorialem Gebiet". Der Herr Senator ist entweder ein
Wortverdreher erster Güte oder er leidet an einer seltenen Form von Aphrasie:
wie kann ein extorritoriales Gebiet gleichzeitig Stadtmitte sein?
In Vaihingen ist etwas stehen geblieben, lässt der Senator schreiben. Damit
sind vermutlich Stadtkirche und Rathaus gemeint. Die stehen tatsächlich noch.
Leider, wie der Herr Häussler zähneknirschend einräumt. Sein Häuschen steht
auch noch. Das des Grafen von Nansac steht nicht mehr. Die wütenden Bauern
haben es ihm angezündet. Also keine Angst, Herr Senator: auf dem Killesberg
oder in Degerloch lebt sich's auch nicht schlecht. Eher noch besser als in
Vaihingen.