Dieter Reicherter
Herrn Innenminister Heribert Rech
Stuttgart
Betr.: Wasserwerfereinsatz im Schlossgarten am 30.9.2010, ca. 16.15 Uhr
Sehr geehrter Herr Minister,
gestern wurde ich Opfer eines Wasserwerferangriffes der im Schlossgarten eingesetzten Polizei. Von mir in einer Stofftasche mitgeführte Gegenstände wurden durch das Wasser beschädigt. Ich halte diesen Wasserwerferangriff für rechtswidrig und bitte um Aufklärung. Gleichzeitig erhebe ich
DIENSTAUFSICHTSBESCHWERDE
gegen die verantwortlichen Personen im Wasserwerfer 1, die den Angriff ausführten. Zur Begründung in der gebotenen Kürze ( auf Nachfrage kann ich gern ergänzen ): Ich bin kein Berufsdemonstrant und kein Chaot, sondern habe diesem Staat bis zu meiner Pensionierung vor einem Monat treu gedient, zuletzt elf Jahre lang als Vorsitzender einer Strafkammer des Landgerichts Stuttgart. Gestern hatte ich mich um 12 Uhr in Stuttgart mit einer Kollegin getroffen und dann noch Einkäufe erledigt. Da ich während der Fahrt im Radio von der begonnenen Polizeiaktion gehört hatte, wollte ich mich anschließend vor Ort selbst informieren. Schon am abgerissenen Nordflügel des Hauptbahnhofs traf ich auf ein ca. sechzehnjähriges Mädchen mit einer Augenverletzung infolge eines Pfeffersprayeinsatzes, das gerade von der ärztlichen Behandlung kam. Den Schlossgarten betrat ich gegen 15.30 Uhr durch den Zugang beim früheren Busbahnhof. Es gab keinerlei Hinweise, dass das Betreten oder der Aufenthalt dort (es handelt sich um einen öffentlichen Park) untersagt sei. Die Situation an dieser Seite stellte sich als absolut friedlich dar. Der sich anschließende Teil des Schlossgartens war durch Absperrgitter und Polizeibeamte, die dicht an dicht wie eine Mauer standen, komplett abgeriegelt. Aus diesem abgeriegelten Teil wurden einzelne Personen, die sich offenbar dort noch aufgehalten hatten, von Polizisten herausgeführt. Auch dies verlief völlig friedlich.
In diesem Zeitpunkt verlief die Absperrung durch die Polizei noch quer über den am Rande des Parks (Richtung Südflügel des Hauptbahnhofs) verlaufenden asphaltierten Weg. Später wollte die Polizei diesen Weg in Richtung des Ausgangs zum früheren Busbahnhof von den anwesenden Personen freimachen. Warum dies nötig war, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls ging von den Anwesenden keinerlei Gewalt aus. Es fuhr dann der Wasserwerfer Nr. 1 auf diesem Weg vor, zunächst noch hinter der polizeilichen Absperrung. Mit Lautsprecher erfolgten mehrere Aufforderungen, „die Straße zu räumen und in den rückwärtigen Teil des Schlossgartens zu gehen“. Für den Fall des Nichtbefolgens wurde der Einsatz des Wasserwerfers angedroht. Ich selbst hielt mich zu keiner Zeit auf dieser Straße auf, sondern stand ca. drei Meter daneben (vom Wasserwerfer aus gesehen links) auf der Wiese – wie viele andere Personen auch.
Als die Straße nicht von allen Personen geräumt wurde, kam der Wasserwerfer und offenbar auch Pfefferspray gegen diese Personen zum Einsatz. Ich sah einige Verletzte, vor allem handelte es sich um Augenverletzungen und auch blutende Wunden. Es kam zum Glück weiterhin zu keinerlei Gewalt. Die auf der Straße befindlichen Personen versuchten nur, sich vor dem Wasserstrahl zu schützen.
Ohne jede Ankündigung wurde plötzlich der Wasserstrahl gegen die Personen auf der Wiese gerichtet. Es war keinerlei Aufforderung ergangen, diesen außerhalb der polizeilichen Absperrungen liegenden Bereich zu verlassen. Der Beschuss der Personen auf der Wiese wurde einige Zeit fortgesetzt, ohne dass erkennbar wurde, was damit eigentlich erreicht werden sollte (im Rücken der Menschenmenge befand sich der von zahlreichen Passanten benutze Weg Richtung Neckartor).
Bereits beim ersten völlig überraschenden Wasserangriff wurde ich voll getroffen. Ich wurde zum Glück nicht verletzt, war aber selbst beim Eintreffen in meiner Wohnung gegen 21 Uhr noch immer völlig durchnässt (die Kleidung konnte ich zuvor nicht wechseln, weil ich nach dem Angriff zu meiner pflegebedürftigen Mutter nach Esslingen fahren musste). Meine mitgeführten Einkäufe, insbesondere Hüllen von Schallplatten und Booklets von CDs sowie ein Buch, aber auch persönliche Papiere wurden völlig durchnässt und sind zum Teil unbrauchbar.
Nach einem heutigen Zeitungsbericht dienten die Wasserwerfer lediglich der Eigensicherung der Polizei, „nicht um Straßen freizumachen“. Im Fernsehen und Rundfunk äußerten Sie und Polizeiführer gestern sinngemäß, man sei selbst schuld, wenn man vom Wasserwerfereinsatz betroffen sei. Der Einsatz sei mehrfach angekündigt worden. Man hätte daher rechtzeitig weggehen können. Da dies in meinem Fall nicht zutrifft, halte ich den Einsatz für rechtswidrig und erbitte Ihre fundierte juristische Stellungnahme sowie Bescheidung der Dienstaufsichtsbeschwerde.
Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass ich einen derartigen Polizeieinsatz gegen friedliche Bürger bislang nur durch Berichte aus China und anderen Diktaturen kannte.
mit freundlichen Grüßen
Dieter Reicherter